Einen ganzen Monat an Erfahrung verloren
Symbolbild (Bildnachweis)
Chantal wurde in ihrem Hebammenstudium für ein Praktikumsmodul einem Spital zugeordnet. Sie hatte ein gutes Los gezogen, wie sie zuerst dachte. Die Abteilung machte auf der Website einen guten Eindruck und sie wurde vergleichsweise gut entschädigt. CHF 1’000 brutto für eine 100%-Praktikumsstelle war zwar nicht ausserordentlich viel, doch im Vergleich mit Kolleg*innen war es besser: «Mir genügte der Lohn. Ich hatte mich bereits darauf eingestellt, dass Praktika nicht unbedingt gut vergütet werden, und war froh, so viel zu verdienen. Andere Mitstudentinnen mit CHF 800 im Monat hatten nicht so Glück.» Leider konnte Chantal nicht so viele Erfahrungen aus ihrem Praktikum mitnehmen, wie sie es sich gewünscht hätte und wie es auch von der Hochschule geplant gewesen wäre.
Schon mit dem ersten Dienstplan kamen erste Zweifel auf, denn Chantal hatte nur wenige Schichten gemeinsam mit ihrer Betreuungsperson, die gleichzeitig stellvertretende Abteilungsleiterin war und deshalb viel Büroarbeit zu erledigen hatte. Eigentlich hätte Chantal in ihrem Praktikum Wöchnerinnen mit ihren Neugeborenen unter Aufsicht betreuen sollen. Der Arbeitsalltag sah jedoch anders aus: ihre Aufgaben bestanden darin Blutdruck zu messen, Kinder zu wägen, bei der Essensverteilung zu helfen und auf die Klingel zu gehen. Letzteres meint in einem Spital, dass jemand in einem Zimmer, in dem nach der Pflege gerufen wurde, nachfragt, was das Anliegen ist. Oftmals geht es dabei um simple Bedürfnisse der Patient*innen wie beispielsweise ein Glas Wasser holen, das Fenster schliessen oder jemandem auf die Beine helfen. In weiteren Fällen haben Patient*innen medizinische Fragen, die sie nur mit den zuständigen Pflegenden besprechen können, die auch den Fall kennen. Ohne Frage, dies sind keine unwichtigen Aufgaben der Pflege, doch bringen diese eine studierende Hebamme nur bedingt weiter in ihren Kompetenzen.
Im ersten sogenannten Transfercoaching, einem Gespräch mit der in der Spitalgruppe zuständigen Person für die Hebammenpraktika, sicherte diese Chantal zu, dass sie das Recht habe mehr Patientinnen selbst zu übernehmen. Doch zurück auf der Station, tat sich wenig. Als Problem stellte sich heraus, dass die Station für Chantal ein Kompetenzblatt bekommen hatte, dass auf eine Fachperson Gesundheit (FaGe) ausgerichtet war. Somit war oftmals den Personen nicht klar, was wirklich in den Fähigkeitsbereich von Chantal gehörte. Nach dem zweiten Transfercoaching wurde dann ein Gespräch mit der Abteilungsleiterin und der Bezugsperson geplant. In diesem Gespräch sagten die Verantwortlichen von der Geburtenstation, dass sie in dem kleinen Spital zu wenig Patientinnen hätten, da auch die FaGes und die Studentin zur diplomierten Pflegefachfrau HF Patientinnen übernehmen können. Als Kompromiss durfte Chantal künftig in jeder Schicht Patientinnen übernehmen, jedoch in Begleitung von FaGes.
Chantal hatte etwas von ihrem Einstehen, Verantwortung übernehmen und Erfahrungen sammeln zu wollen: «Durch dieses Gespräch hat sich für mich vieles an der Situation gebessert. Es frustrierte mich aber sehr, dass ich dadurch einen ganzen Monat verloren habe, [in dem] ich nicht Frauen begleiten konnte.» Gerade im Hebammenstudium ist der angewandte Teil ebenfalls sehr wichtig. Beim Anleiten zum Stillen etwa braucht ein*e Studierende einige Fälle, um besser und schneller erkennen zu können, weshalb das Kind nicht an die Brust geht oder die Milchförderung nicht funktioniert.
«Ich habe während des Praktikums gelernt, Verantwortung zu übernehmen, meinen Berufsalltag vorausschauend zu planen, aber auch für mich selber einzustehen, wenn etwas nicht rund läuft.» Das Einstehen hat ihr einiges gebracht, auch wenn sie zuvor etwa einen Monat an wertvoller Praktikumszeit verloren hat. Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen und die Station etwas aus den Rückmeldungen Chantals gelernt haben, auch wenn sie an der Fachhochschule hören musste, dass dies nicht das erste Mal war, dass in diesem Spital solche Schwierigkeiten auftraten.