Studentischer Spagat - Bitte gute Leistung, aber so gratis wie möglich!
Symbolbild (Bildnachweis)
Claudia* studiert Editionsphilologie an der Universität Bern und berichtet von ihrer Erfahrung im Pflichtpraktikum. Jedoch gleich zu Beginn lässt sie sich einen gewissen Unmut anmerken: «Ich hatte mich [bei einem Archiv] für ein Praktikum beworben, um das Modul der Editionsphilologie zu absolvieren. Da ich mich mit der unbezahlten Anstellung nicht abfinden wollte und nachhakte, wurde ich schliesslich als „studentische Hilfsassistenz“ angestellt.» Zuerst stellte sich das Archiv auf den Standpunkt, dass keine Bezahlung möglich wäre, da das Praktikum ECTS-Punkte gebe und die finanziellen Mittel nicht ausreichen würden.
Zu Beginn war sie für ein Pensum von 50 % angestellt, musste jedoch studienbedingt auf 30 % reduzieren. Diese Reduktion machte sich im Portemonnaie massiv bemerkbar – von CHF 2000 auf CHF 1300. Auf die Frage, ob das Gehalt ausreichend gewesen sei, antwortete Claudia : «Nein, der Lohn reichte nicht, ich arbeitete auch noch 40 % an der ETH Zürich als studentische Mitarbeiterin. Mit beiden Löhnen zusammen kam ich grad so über die Runden.» Die Krönung des Ganzen bildete die Frage eines Projektleiters: «[…] ob ich das Studium denn nicht für die Arbeit zurückstellen könnte? Wohlgemerkt: für eine auf ein Jahr befristete 50 %-Stelle.»
Als wäre die finanzielle Lage nicht genug Strapaze, fehlte es auch an inhaltlichem Wert und wertschätzendem Umgang: «Verletzung der Fürsorgepflichten – der Pausenraum wurde mir erst nach zwei Monaten auf wiederholtes Nachfragen gezeigt, wobei mir Herr Müller* zuvor sogar eine Falschauskunft gab. Für die Arbeit wurde ich soweit instruiert, wie es gerade notwendig war.» Weiter erzählt sie, dass zusätzliche Informationen über das Projekt jeweils nur auf Anfrage gewährt wurden und Dokumente, welche als Stütze und Orientierung hätten dienen sollen, fehlerhaft und unvollständig waren.
Im Verlauf des Praktikums kamen weitere, eher fragwürdige Verhalten zum Vorschein. Während einer Besprechung mit einem der Projektleiter konnte Claudia ihren Augen kaum glauben: «Dabei kam mir eine E-Mail von [einem anderen Projektleiter] unter die Augen, in der er berichtet, meine Dozentin habe ihn aufgefordert, auf mich ein besonders strenges Auge zu haben, da ich im Kurs durch unsorgfältiges Arbeiten aufgefallen sei!». Diesbezüglich erhielt sie von der Dozentin selbst nie ein Feedback.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, welchen Spagat Studierende häufig machen müssen: gute Leistungen bei der Arbeit und an der Hochschule unter oftmals erschwerten Bedingungen. Oftmals ist neben einer didaktisch wertlosen Tätigkeit auch der finanzielle Aspekt Teil einer traurigen Wahrheit von jungen Erwachsenen in Ausbildung. Dies trifft besonders die Studierenden, die auf keine finanzielle Unterstützung von Familie oder Staat hoffen können. Bei Claudia führte dies dazu, dass sie neben dem Studium zeitweise 90 % berufstätig war, was selbstredend eine grosse Belastung ist. Um die optimale Bewältigung dieses Spagats gewährleisten zu können, setzen wir (der VSS) uns für die Rechte der Praktikanten*innen ein und fordern gerechte Bedingungen.
* Die Namen wurden geändert.